Preisträger bis heute
Die Preisträger der Kulturpreises »pro visio« vereint, dass sie sich mutig und wegweisend dem Mainstream entgegen stellen. Mit dem Kulturpreis kürt die Stiftung außergewöhnliche kulturelle Vorhaben, die neue Wegmarken setzen, und die sich nachhaltig mit aktuellen Themen, Formaten oder Vermittlungsformen auseinandersetzen.
Der »pro visio«-Preis wird seit 2002 jährlich vergeben. Für die Jahre 2007, 2014, 2019 wurde der Preis nicht vergeben. 2013 wurde der Preis bislang das einzige Mal geteilt.
Herausragend umgesetzt: Das 1. Internationale Schlagzeug Festival
Das »Überschlag-Festival« versetzt Hannover in einen neuen Rhythmus. »Hier begegnen sich die Generationen – im Publikum sowie auf der Bühne«, so die »pro visio«-Jury.
Das neue, überraschende und einzigartige Musikfestival startete im August 2022 mit einem nicht zu überhörenden »Wumms«. »beyond music e.V.« - eine Initiative junger Musikschaffender aus Hannover - präsentierte an fünf Tagen eine Vielzahl exquisiter Veranstaltungsformate im Pavillon Hannover und an anderen Orten.
Neben internationalen Percussion-Stars und Ensembles traten die Profi-SchlagzeugerInnen Hannovers auf. Auch niedersächsische Formationen und ganz junge MusikerInnen waren im Konzert zu erleben. Meisterkurse wandten sich an den Nachwuchs, in Gesprächsformaten wurden aktuelle Themen der Branche diskutiert.
Von alter Musik über groovigere Sounds bis zur Avantgarde reichte das Spektrum und präsentierte die Vielseitigkeit der Instrumentenwelt. Für das Programm zeichnete der Schlagzeuger Philipp Kohnke als künstlerischer Leiter verantwortlich. Das Festival soll von nun an alle zwei Jahre durchgeführt werden.
Mutige experimentelle Formate im Corona-Jahr 2020
Das freie Theater an der Glocksee wurde für seine innovativen Theaterproduktionen im Corona-Jahr 2020 auszeichnet. Das hannoversche Ensemble hat kreativ auf die neue Situation reagiert und als eine der ersten Theatergruppen mutige neue Formate unter den veränderten Bedingungen geschaffen.
So sensibilisierte die Inszenierungsreihe »Plantkingdom. Fremde Welten« über sechs Monate hinweg für die Welt der Pflanzen und das Verhältnis zur Umwelt. Die »pro visio«-Jury lobte »die Verquickung von digitalen und analogen Möglichkeiten auf wunderbar herzliche Weise«. Hierbei wurden sowohl neue Denk- als auch Theaterräume geöffnet.
Die experimentelle Produktion »Auf der Suche nach der Stille« schickte im Herbst 2020 Ensemble und Publikum gemeinsam auf eine Reise ins Leise und kam dabei völlig ohne Sprache aus. Für preiswürdig befand die Jury die gelungene Verschmelzung von SchauspielerInnen, MusikerInnen und Publikum zu einer Gemeinschaft innerhalb eines geschützten Raums.
»Ich habe keine Zeit mehr, ich brauche deine Hilfe!«
Hannover im Jahr 2168. Die Widerstandskämpferin Lucy versucht, ihre Freundin aus einer Klinik für Chipimplantate zu befreien. Sie schickt eine Nachricht rückwärts durch die Zeit. Nur wir können ihr helfen. Doch die Künstliche Intelligenz »Good Sense« ist Lucy und ihrer Gruppe dicht auf den digitalen Fersen.
Das Gamification-Projekt »Pavillon Prison Break« ist ein innovatives Bildungs- und Kulturformat, das für neue Zielgruppen entwickelt wurde. Vom Kulturzentrum Pavillon Hannover initiiert, schlägt es eine Brücke zwischen der digitalen und der analogen Welt. Die einzelnen Levels erarbeiteten GamedesignerInnen generationenübergreifend in Workshops u.a. mit SchülerInnen und SeniorInnen. Das Spiel kann als App kostenfrei heruntergeladen und mit dem Mobiltelefon oder tragbaren Geräten vor Ort gespielt werden.
»Das Modellprojekt ermöglicht es den NutzerInnen, sich besondere Orte in Hannover und ausgewählte geschichtliche Ereignisse über Neue Medien spielerisch zu erschließen und die Orte dabei selber zu erkunden«, so die »pro visio«-Jury. Besonders lobte sie den partizipativen soziokulturellen Ansatz des Gaming-Projekts und findet, dass es ein zeitgemäßes Bildungs- und Kulturformat vor allem auch für jüngere Menschen sei. Aus diesen Gründen zeichnete die Jury das Projekt »Pavillon Prison Break« der Bürgerinitiative Raschplatz e.V. mit dem Kulturpreis »pro visio« 2018 aus.
Soll ich es singen?
Die freie Theatergruppe Agentur für Weltverbesserungspläne (AWP) wird für ihre Produktionen des Jahres 2017 ausgezeichnet. Das Stück »Die Schneyderleyns – Eine Homestory in 3 Akten und 3 Räumen« über eine skurrile Mutter-Sohn-Beziehung wurde im Frühjahr 2017 in der Lindener Textilgalerie »Frau Zimmer« aufgeführt. Die Produktion »Home.Run − Eine grenzverletzende Familiensaga« über die familären Strukturen und Geschichten des El Kurdi-Clans feierte im Oktober 2017 seine Premiere in Cumberland (in Koproduktion mit dem Schauspiel Hannover).
Die AWP arbeitet in einer formalen, bildhaften und musikalischen Vielfalt ebenso komisch wie ernsthaft. Sie bespielt besondere Orte und war z.B. im Haus der Region zu Gast sowie in Ladenlokalen in Hannover, in Schulen, Wohnungen und Fabrikhallen.
»Die Agentur für Weltverbesserungspläne versteht sich insbesondere darauf, prekäre Geschichten aus dem Leben, Familien- und Beziehungsproblematiken auf berührende Weise und mit großer Nähe zum Publikum zu erzählen« lobt die »pro visio«-Jury. Dies geschehe immer auch mit dem Blick auf übergeordnete gesellschaftliche Entwicklungen und aktuelle Themen. Hierbei nutze die freie Theatergruppe häufig ungewöhnliche Räume und schaffe es, diese mutig und mit überzeugenden dramaturgischen Ideen zu erobern und auszufüllen.
Beim Probieren live dabei
Tänzer rutschen über die schräge Ebene eines Tisches, setzen sich auf unterschiedliche hohe Stühle oder schwingen sich darüber. Ein pulsierender Rhythmus erklingt. Dann… Einruf von der Seite. Choreograf Felix Landerer ist noch nicht zufrieden. Er möchte mehr Spannung in den Körpern sehen, motiviert dazu, mehr Energie in einzelne Bewegungen zu bringen. Die Tänzer schwitzen, Haare kleben im Gesicht. Alles ohne Vorhang, ohne die Distanz zwischen Publikum und Bühne. Die Zuschauer beobachten etwas Einmaliges − eine Tanzproduktion wird erschaffen. Jetzt. In diesem Moment.
Für den Mut zu offenen Proben für das Tanztheaterstück »Revolte!« hat »Landerer&Company« den Kulturpreis »pro visio« erhalten. Die Offenheit von Choreograph, Tänzern und Komponist, die besondere Form der Öffentlichkeitsarbeit für eine Tanzproduktion und die Gestaltung der Proben befand die Jury als preiswürdig. Sie lobt Felix Landerer und seine Company für die Furchtlosigkeit, einen Arbeitsprozess zu öffnen, der jederzeit auch hätte scheitern können.
Mit Schlafbrille ins Konzert
Als innovative Format, das den Besuchern ein eindrückliches Sinneserlebnis auf höchstem Konzertniveau bot, lobte die »pro visio«-Jury das Live-Orchester-Hörspiel »Dark Room 2 – Ein musikalischer Goldrausch im Dunkeln« des hannoverschen Orchesters im Treppenhaus.
Die Gäste wurden mit Schlafbrillen ausgestattet und von den Orchestermusikern in ein Zirkuszelt geführt. Dort stand ein Feldbett für sie bereit. Im Dunkeln lauschten sie ausgewählten Musikstücken moderner und Klassischer Musik bis hin zu Filmmusiken, die das Orchester live spielte und literarischen Texten, die von bekannten Synchronstimmen gelesen wurden.
2014 war das Thema »Goldrausch«. Erzählt wurde die Geschichte vom Aufstieg und Niedergang des »Kaisers von Kalifornien« Johann August Sutter (Dramaturgie: Volker Bürger).
Hörtheater im Hauptbahnhof
In einer überzeugenden Darbietung bespielte die freie Theaterproduktion »Hannover Central Station« von »Freie Theaterproduktionen - Iyabo Kaczmarek« im September 2012 den Hauptbahnhof Hannover. Regisseur und Autor Sascha Schmidt hatte aus Interviews mit Menschen im und am Bahnhof eindrückliche Portraits erarbeitet. Acht Schauspieler(innen) schlüpften in die Rollen und führten die Produktion, unterstützt durch raffinierte Technik, an verschiedenen Orten im Bahnhof auf. Durch die Verschmelzung von Raum, Biografie, Spiel und Klang wurde ein einzigartiges Theatererlebnis für die Besucher geschaffen.
Vor allem die zeitgemäße, mutige Organisationsform des Projektes, jenseits etablierter Einrichtungen, lobte die »pro visio«-Jury.
Der »pro visio«-Preis 2013 wurde, abweichend von den Vorjahren, hälftig geteilt.
Schwarmkünstler etikettieren Kunst und Körper
Mit Millionen von neonfarbenen Preisetiketten machte das Schwarmkunst-Projekt »Strich-Code« von Kerstin Schulz und dem »Atelier Dreieck« im Sommer 2012 auf sich aufmerksam. Zahlreiche Künstler und Akteure etikettierten gemeinsam große Flächen in der Innenstadt Hannovers und sogar eine Stadtbahn. Ausstellungen, Begleitveranstaltungen sowie Führungen luden zur Diskussion über den »Wa(h)rencharakter von Sexualität und Kunst« ein.
Im Historischen Museum Hannover konnten sich die Besucher mit dem oftmals tabuisierten Thema Prostitution auseinandersetzen und mit einer Prostituierten ins Gespräch kommen, die in einem Tabledance-Käfig zur Schau gestellt war. Den Tausch komplett machte eine Kunstausstellung in einer Tabledance Bar am Steintor.
Die »pro visio«-Jury zeigte sich beeindruckt von dem Mut und Spannungsreichtum von »Strich-Code«. Der »pro visio«-Preis 2013 wurde, abweichend von den Vorjahren, hälftig an zwei Projekte vergeben. »Strich-Code« entstand, genau wie das andere Preisträgerprojekt »Hannover Central Station« in freier Organisation.
Klangspiegelungen unter dem Sichelmond
Dem türkisch-deutschen Kulturfestival »YAKAMOZ« der Hannoverschen Gesellschaft für Neue Musik e. V. (hgnm) gelang der Brückenschlag zwischen den Kulturen.
Das Festival fand vom 12. bis 23. Oktober 2011 in Hannover statt. Es zog gleichermaßen Deutsche wie Türken zu zahlreichen Veranstaltungsorten in der Stadt. Von einer Klangperformance, die als Wanderung mit Ghettoblastern in der Fußgängerzone begann und mit Tretbooten auf den Maschsee getragen wurde, über Lesungen der bekannten Autoren Deniz Utlu und Feridun Zaimoglu bis hin zur zeitgenössischen türkischen Musik und Konzerten mit Fazil Say & dem Borusan Quartett oder dem Weltmusiker Burhan Öçal reichte das Veranstaltungsangebot. An dem Festival waren vielfältige Partnerakteure und Förderer beteiligt.
»YAKAMOZ« habe auf einem hohen künstlerischen und intellektuellen Niveau einen wegweisenden interkulturellen Impuls gegeben und damit den deutsch-türkischen Dialog auf neue Art gestaltet, befand die »pro visio«-Jury.
Kunst entdecken
Es hängen bunte Schlangen in den Bäumen und ein Kokosnussfloß dümpelt im Schlossgraben: Eindrücke aus den historischen Gärten des Ober- und Untergutes Lenthe in Gehrden. Der Verein »Neue Kunst In Alten Gärten« veranstaltet hier seit 2004 alle zwei Jahre seine gleichnamige Skulpturenausstellung. Mit gutem Gespür wählen die Kuratoren, der Bildhauer Hartmut Stielow und der Künstler Hannes Malte Mahler, Skulpturen internationaler Künstler aus und laden junge regionale Künstler dazu ein, für den Ort Kunstwerke zu erarbeiten. So hat sich ein Ausstellungsprojekt großer Qualität im ländlichen Raum entwickelt, das einzigartig in der Region Hannover ist und von besonderem Rang für Niedersachsen. Künstler wie Peter Lundberg, Alec Finlay, Matthäus Thoma, Tea Mäkipää, David Nash, Rita McBride und Timm Ulrichs waren bei der Ausstellung bereits vertreten.
»Jede Ausstellung gewinnt durch die unterschiedlichen künstlerischen Perspektiven ihren einzigartigen Charakter«, lobt die »pro visio«-Jury, »ein Besuch ist ein ganz besonderen Erlebnis, das lange in Erinnerung bleibt«. Retrospektiv wurde die Ausstellung »Survival | Überleben«, die 2010 stattfand, mit dem Kulturpreis »pro visio« der Stiftung Kulturregion Hannover ausgezeichnet.
Da ist nichts leer, alles voll Gewimmels
»Unser Theater ist die Stadt« liest man auf den Werbematerialien des freien Theaterensembles »Kulturfiliale«. Und mitten im Gewimmel der Stadt wurde es noch einmal thematisiert: Das Schicksal des Mannes, der im Frühjahr 2008 auf einem Hochsitz im Solling verhungert aufgefunden worden war. »Da ist nichts leer, alles voll Gewimmels. Autopsie einer Auslöschung« übertitelte die Kulturfiliale ihre theatrale Dauerinstallation. Der Schauspieler Philippe Goos verbrachte dafür im Herbst 2009 sechs Tage auf einem Hochsitz in der Fußgängerzone Hannover. Er verkörperte einen zutiefst vom Leben Enttäuschten, von Familie und Staat verlassen, der als letzten Ausweg den Freitod wählt.
Die mutige Inszenierung bewegte die Menschen noch einmal auf besondere Weise. Realisiert wurde das Projekt mithilfe des schauspielhannover, der Stiftung Kulturregion Hannover und des Kulturbüros der Landeshauptstadt Hannover. Das Projekt wurde retrospektiv mit dem Kulturpreis »pro visio« der Stiftung Kulturregion Hannover ausgezeichnet.
Die Jury aus Kultursachverständigen hob hervor, dass die letzten Tage eines am Leben Gescheiterten nicht nur aufgeführt, sondern auf bewegende Art und Weise für alle miterlebbar gemacht wurden. Das Projekt hat den Zeitgeist tief an der Wurzel getroffen.
Mozart goes Rap
Eine mutige Vision, die die Initiatoren da hatten: Oper, Rap und HipHop mischen; Jugendliche aus vorwiegend sozial benachteiligten Stadtteilen gemeinsam mit professionellen Opernsängern auf die Bühne stellen; Mozarts »Entführung aus dem Serail« als Schmelztiegel für Hochkultur und Jugendszene nutzen.
Mit dem MusikZentrum Hannover, der Landeshauptstadt Hannover, der Staatsoper Hannover und dem Evangelische Jugenddienst fanden starke Kooperationspartner zusammen. An der RapOper »Culture Clash - Die Entführung« beteiligten sich etwa 100 Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren und begannen bereits ein halbes Jahr vor der Aufführung Bühnenbilder zu bauen, Kostüme zu gestalten, Tanzschritte und Texte zu üben. An der Dramaturgie und dem Arrangement arbeiteten Profis wie Marc Prätsch, Christof Littmann, Ulrich Lenz und der Rapper Spax.
Für preiswürdig hielt die Jury sowohl die Idee zur RapOper als auch deren grandiose Umsetzung im Juli 2008. »Der Kontrast und die unerwartete Verschmelzung der Genres sowie der große Einsatz der Initiatoren, der zur Überwindung unterschiedlichster Barrieren führte, haben ein einzigartiges Erlebnis auf der Opernbühne möglich gemacht«, heißt es in der Begründung der Jury. Das MusikZentrum Hannover erhielt den Kulturpreis stellvertretend für die Kooperationspartner.
Frech-kritisches Fotoportrait von Hannover
Der Künstler Uwe Stelter erhielt für seine über mehrere Jahre angelegte Fotoreihe »Eine Stadt - Metropolitaner Weltspaziergang« den pro visio-Preis 2008. Das außergewöhnliche Projekt beleuchtete Hannover von einer ganz neuen Seite, indem es frech, kritisch und hintergründig mit dem vorgefundenen Stadtbild arbeitete.
Stelter untertitelte eine Ansicht des Maschsees mit St. Petersburg, transferierte den Nds. Landtag nach Rom und verortete den Glasturm der Nord/LB in Toronto. Er täuschte mit seinem Kunstprojekt die Sehgewohnheiten auf bekannte Bauwerke seiner Heimatstadt. Zeitweise bespielte der Künstler mit den verfremdeten, großformatigen Motiven in städtischen Leuchtkästen die ganze Stadt.
Mehr als 40 Fotomotive seiner Heimatstadt veröffentlichte Uwe Stelter bislang - eine präzise, phantasievolle und nachhaltige künstlerische Auseinandersetzung, die eine Auszeichnung verdient hat, befand auch die Jury.
Berührendes Erinnerungswerk
Mit seiner künstlerischen Ausdruckskraft und Konsequenz überzeugte das Projekt »RosebuschVerlassenschaften« des Künstlerpaars a. + h. j. breuste die Jury.
Im ehemaligen Umspannwerk der PreussenElektra in Ahlem entstand langfristig, beinahe unbeachtet von der Öffentlichkeit, eine beeindruckende künstlerische Auseinandersetzung mit Vergangenem und Vergessenem. Der riesige Raum der Industriebrache bildete die Hülle für ein anrührendes Erinnerungswerk. Zahllose Reste industrieller Produktionen aus allen denkbaren Formen und Materialien wurden von dem Künstlerpaar zusammengeführt, geordnet, konzentriert und verdichtet.
Dem Rhythmus imposanter Pfeiler folgend, fanden sich schließlich im Herzen der Rauminstallation Erinnerungsstücke an den dunkelsten Teil deutscher Geschichte: Namenslisten Deportierter, Fotos von Zwangsarbeitern und meterlange Reihen zahlloser Lazarettbahren bilden den Kern des Ortes der Erinnerung an das Ghetto Litzmannstadt. Vor allem mit der Veranstaltung »Erinnern - Bewahren« am 8. Oktober 2005 erlebte der Raum eine sinnliche Ergänzung durch Musik und Texte, die nachdrücklich im Gedächtnis bleibt.
In seiner Laudatio ordnete der Direktor des Sprengel Museums Hannover, Prof. Dr. Ulrich Krempel das Projekt in das künstlerische Gesamtwerk ein und hob seine herausragende Bedeutung durch die Setzung neuer Konnotationen für verlassene Gegenstände des Alltags hervor.
Einfach gut gemacht
Preisträger des »pro visio«-Preises 2005 wurde das hannoversche freie Theater »fensterzurstadt« mit seiner Produktion »Ich, Ich, Ich«, die im Jahr 2004 viele Theaterfreunde durch ihre Lebensnähe und Intensität begeisterte. Die Jury der Stiftung beurteilte das Theaterstück als ausgezeichnete Leistung der Theaterregie wie auch der Schauspieler. Insbesondere der Spagat zwischen persönlicher Betroffenheit und schauspielerischer Leistung beeindruckte.
Mitten aus dem Leben, aus der eigenen Befindlichkeit heraus, stand das eigene und das fremde Ich im Zentrum dieser theatralen Arbeit. Narzissmen, Egoismen, Demütigungen, Verrücktheiten und vieles mehr, was den alltäglichen konzentrischen Kreis unseres Lebens ausmacht, wurde ausgelotet und beleuchtet. Dem Ensemble um Ruth Rutkowski und Carsten Hentrich gelang damit eine Gratwanderung zwischen Authentizität und schauspielerischer Ausdruckskraft, die das Publikum in seinen Bann riss.
Angesichts der massiven Kürzungen im freien Kulturbereich betonte Stiftungsvorstand und Regionspräsident Dr. Michael Arndt anlässlich der Preisverleihung: »Wir möchten noch deutlicher auf diesen eher unscheinbaren freien Kulturbereich aufmerksam machen, der so wichtige kulturelle Arbeit leistet und dies in der Regel nach am Rande der Selbstausbeutung.« Die Laudatio hielt H.-Jörg Siewert von Nds. Ministerium für Wissenschaft und Kultur.
Kunst, die schmeckt
Der Hannoveraner Künstler Dieter Froelich erhielt den Kulturpreis »pro visio« 2004 für sein Projekt Restauration a.a.O. Bereits der Titel bezieht sich auf die Gepflogenheiten, die unsere Ess- und Tischkultur betreffen.
Der Künstler lädt eine begrenzte Zahl von Teilnehmern zu einem Gastmahl ein, dass in perfekter Abstimmung ein Rundumerlebnis besonderer Art bietet. Die Speisenfolge, die in der Regel aus sieben Gängen besteht, wird erst mit der verbindlichen Anmeldung bekannt gegeben. Ebenso der Ort des Gastmahls, der wechselt und garantiert nie mit einem Ort klassischer Gastronomie in Verbindung zu bringen ist. Befremdung und Irritation bieten auch Speisen wie Blauzipfel, Ochsenschwanz und Kuddeln. Es geht dem Künstler um die Rückbesinnung auf Gerichte alter Kochkunst.
Während Dieter Froelich zur Feier seiner Preisverleihung die Gäste im Glasfoyer der Herrenhäuser Gärten bekochte, entspann Henning Queren (Jury) in seiner Laudatio einen vielschichtigen, kunsthistorischen Exkurs über das Verhältnis von Kunst und Speisen. Am Schluss seiner Ausführungen erschien das preisgekrönte Projekt als eine benahe schon logische Konsequenz von Entwicklungssträngen in der neueren Kunstgeschichte.
Eine runde Sache
Im Protokoll der Jury heißt es: »Diese überaus erfolgreiche Mischung aus visionärem Umgang mit Neuer Musik im Verbund mit der Schaffung eines völlig neuen und ungewohnten Klangraumes gelang so überzeugend, dass wir uns gefreut haben, unseren Kultur- und Ideenpreis »pro visio« 2003 dem Hannoverschen Musiker Stephan Meier und dem Ensemble S für das Projekt »CIRCUS S« verleihen zu dürfen.«
Für das Projekt mit Neuer Musik wurde im August 2002 im Ambiente der Herrenhäuser Gärten ein Circuszelt errichtet. Dieses temporäre Raumgebilde wurde mit großer Fantasie bespielt: Klänge Neuer Musik bekannter und unbekannter Komponisten erfüllten das Rund des Zeltes und bildeten einen Klangraum ganz eigener Art und fernab aller Standards. Stücke verschiedener Komponisten überlagerten sich und gingen bisher ungehörte musikalische Begegnungen ein. Gegenstände wie Kakteen und Aquarien wurden zu Instrumenten, denen besondere klangliche Eigenschaften zuvor nicht zuzutrauen waren.
Der Vorstand der Stiftung, Dr. Michael Arndt, betonte anlässlich der Preisverleihung: »Wir möchten den Mut und die Fantasie für solche Projekte belohnen, die bereit sind unkonventionelle Wege zu gehen, die mit neuen Ausdrucksformen experimentieren, die ungewöhnliche Orte bespielen und die dabei auch den Kontakt mit ihrem Publikum nicht außer acht lassen.« Die Laudatio hielt Jurymitglied Angela Kriesel.
Pressemitteilung »pro visio« 2003http://www.circus-s.de/
Funkenflug und Erleuchtungen
Den allerersten »pro visio«-Preis erhielt 2002 ein Projekt, das Vieles bot: den berühmten überspringenden Funken, Überraschung, Begeisterung, veränderte Wahrnehmung bis hin zur »Erleuchtung« in mehrfacher Hinsicht. »Lux Aeterna - Licht Bilder, Klänge im Ort Völksen« wurde gemeinsam vom Kunst und Begegnung Hermannhof e.V. und der Johannes Kirchengemeinde Völksen veranstaltet.
Das Ausstellungsprojekt brachte im dunklen Monat Dezember auf künstlerisch und konzeptionell überzeugende Weise Licht in den kleinen Ort Völksen bei Springe. Gemeinsam hatten die beiden Veranstalter Künstlerinnen und Künstler angeregt, sich mit dem Thema »Lux Aeterna – Ewiges Licht« auseinander zu setzen.
Es entstanden Schwarzlichtinstallationen, Video-Kunst, Licht-Skulpturen und andere Environments in den Schaufenstern der örtlichen Geschäfte. Überregionale und regionale Künstler wie Raitz von Frentz, Ulla Nentwig; Jobst Tilmann und Antje Smollich wirkten bei dem Projekt mit.
Die bundesweit bekannte Lichtkünstlerin Yvonne Goulbier schuf eigens für den Altarraum der Johanneskirche die Arbeit »love lights« aus schwebenden phosphoreszierenden Christusfiguren. Hier fanden Konzerte, Lesungen und besondere Gottesdienste statt, die sich auf die Kunstaktion bezogen. Allein 1500 Besucher wurden während der Kirchenöffnungszeiten gezählt. Darüber hinaus besuchten unzählige Interessierte aus Nah und Fern den kleinen Ort im Süden der Region Hannover.